Sexession

Julia Stempel in der Galerie Natalia Offermanns

 

Julia Stempel studiert seit 2002 an der Kunstakademie Stuttgart und stellt in der Galerie Offermanns zum zweiten Mal aus. In der ersten Ausstellung, die Ende 2004 -Anfang 2005 stattfand, wurden auch großformatige Tuschebilder gezeigt. Die vielen ineinander verwickelten Elemente schienen wie aus einem Faden improvisatorisch gestrickt zu sein und bildeten ein metaphysisches Ganzes. Schon damals waren die Betrachter von ihrer Technik der Tuschezeichnung und der Liebe zum Detail fasziniert.

Die Werke dieser Ausstellung wirken schon bei dem ersten Betrachten als ein in sich geschlossenes Konzept, das ein gemeinsames Thema hat.

Die Ausstellung kann man in drei Teile gliedern.

Die Leinwandbilder wie „ Willkommen in Palazzo“, „Le Salon“, „12“, „o.T“, „ die Taufe“ und „Koubba“ gehören zu dem ersten Teil.

Der zweite Teil ist die „Badezimmer-Serie“. Sie besteht aus gleichgroßen Leinwandbildern, die durch das gleiche Raumkonzept wie durch einen Faden miteinander verbunden sind.

Der dritte Teil ist die „Hotelserie“, in der die Bilder auch gleichgroß sind und die Handlung findet in einem Hotelzimmer statt.

Die Werke aus dem ersten Teil der Ausstellung stellen keine Serie dar, da sie erstens nicht gleich groß sind und ihre räumliche Darstellung unterschiedlich ist. Doch haben sie viele gemeinsame Merkmale. Zunächst fallen die reiche Ornamentik und die Liebe zum Detail auf.

Die vielen Details laden den Blick dazu ein, auf dem Bild zu verweilen. Die Fragen kommen mit der Betrachtung und sind nicht alle sofort zu beantworten. So auf dem Bild mit dem Titel „Koubba“ scheint die Frauenfigur aus dem Teppich und Bettdecke entstanden zu sein oder in dieselbe hinein zu fließen, was surrealistisch wirkt. Ist die Frau auf der Bettdecke eine reale Frau oder ein Teil des Ornaments? Ist in der Nische eine Spiegelung oder ein Bild? Die Stellung der beiden Figuren, auch die Darstellung des „Zerfließens“ der Frauenfigur erinnert an das Foto von Man Ray aus dem Jahr 1931 mit dem Titel „Die Vorherrschaft der Materie über den Geist“.

Die Ornamente im Ganzen kann man nicht einer bestimmten Kultur oder Zeit zuordnen. Elemente aus verschiedenen Zeiten und Epochen sind vertreten, trotzdem wirken sie in ihrer Ganzheit harmonisch und geordnet. Doch die Decke scheint nicht hineinzupassen und erzeugt ein disharmonisches Gefühl. Dieses Unbehagen scheint von der Künstlerin kalkuliert zu sein.

Wichtig ist zu wissen, dass Julia nicht mit den Bildern aus ihrer Phantasie arbeitet, sondern dass sie sich Vorlagen nimmt, sowohl für die Interieurs als auch für die dargestellten Szenen, welche aus Zeitschriften, Taschen- und Erotikbände, Pornohefte, Internet und Fotos stammen. Überwiegend arbeitet Julia also mit tradierten Medienbildern. Sie verbindet in ihren Bildern einerseits die naive Ästhetik des Ornaments und die manchmal unverblümte Direktheit der Pornomotiven. Das Ergebnis dieser Synthese ist eine qualitativ neue Aussage, sowohl in ästhetischer, als auch in inhaltlicher Hinsicht.

Die viele Details der Ornamente, mit kleinen schönen Elementen, lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Andererseits binden die erotische Szenen den Betrachter durch ihre sexuelle Schlüsselreize an sich. Dieses hin und her unseres Blicks lässt uns die der menschlicher Natur immanente Zerrissenheit erfahren.

Die sadomasochistische Attribute, wie Maske und Handschuhe sind keine Neuigkeit in der Kunstgeschichte. Um ein Paar Beispielen zu nennen, tauchen sie in Man Rays Fotos auf , wie in „Woman with Mask and Hancuffs“, oder in „Woman with Leather Mask“, beide 1929 entstanden. Etwas später, in den 70-er und 80-er Jahren, imitierten und verfremdeten Alen Jones und Jeff Koons Porno-Hefte und Werbung.

Die Reduktion der Farbe auf schwarz-weiß in den Bildern Julia Stempels ist wegen vielen kleinen Details aus gestalterischen Gründen sinnvoll, doch führt sie zu weiteren Assoziationen bei uns. So erinnert die schwarz-weiße Farbgestaltung uns an die Typographie, an das Vervielfältigte, an das nicht Einmalige. Dagegen bringt die Liebe zum Detail einen neuen Ausdruck mit sich. Sie gibt der Darstellung etwas einmaliges und kostbares. In ästhetischer Hinsicht wird hier versucht, ein Gegensatz zum Minimalismus zu schaffen.

Auch die Künstlerin selbst, wen sie an Details arbeitet, möchte der Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit entgegenwirken. Dabei stellt sie bewusst etwas Überladenes dar. Die Bilder sind gewiss überladen, sowohl mit Ornament, als auch mit der verdrehten Sexualität. So wie Ornamente bis zum Grotesken mit Details überladen sind, so wird hier mit u.a. sadomasochistischen Elementen die überspannte Sexualität grotesk dargestellt. Der Sadomasochismus ist ein psychologischer und klischeehafter Beispiel des Fetischismus. Die überladene Ornamentik dagegen verweist uns auf weitere Fetischobjekte, wie Mode und Geld.

Der Fetisch und seine Stelle in unserer Gesellschaft ist das Hauptthema dieser Ausstellung. Die gute Kunst hat aber in der Regel viele Ebenen, so dass auch diese Bilder viel mehr zum Denken und Betrachten anbieten, als ich es Ihnen jetzt erzählen kann. Damit schlage ich Ihnen vor, meine sehr geehrten Damen und Herren, schauen sie bitte aufmerksam sich die Bilder an und erfreuen sie sich über weitere inhaltliche und formale Entdeckungen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Vergnügen heute Abend.

© Natalia Offermanns  12/2006