Vernissage Patricia Thoma und Justyna Köke  bei Natalia Offermanns (28.01.06)


Justyna Köke und Patricia Thoma sind beide langjährige Hauskünstlerinnen der Galerie Offermanns, von Natalia Offermanns für Mannheim an der Akademie in Stuttgart entdeckt, beide waren auf der letzten Messe in Frankfurt 2005 dabei und beide sind auf ihrem Weg nach oben, mit ihrer ganz individuellen Formensprache. Und beide sind etwa gleich alt, knapp unter 30.

Beginnen möchte ich mit der polnischen Künstlerin Justyna Köke, die heute auch unterrichtet an der Akademie in Stuttgart. Sie kennen sicher alle noch ihre Gespinste aus rotem Nicki-Stoff, die die Galerie Offermanns in K 2 verfremdet haben, auch ihre Videos gab es schon häufiger zu sehen. Heute ist sie mit einer neuen Arbeit da, die eigentlich aus vier Teilen besteht: der Stoffassemblage am Boden, dem Video, den Großfotos und den glasierten Keramikfigürchen, die dort hinten liegen oder stehen. Am besten sieht man den Ausgangspunkt im Video: Statt All-inclusive-Urlaub irgendwo auf einer Palmeninsel in der Südsee, bleibt frau zu Hause in der Wohnung und macht sich ihren Urlaub dort, mit allem, was dazu gehört: vom Hanteltraining zu heftiger Musik auch ohne Animateur über die Gurkengesichtsmaske für die Schönheit bis zum Blick aufs Meer: aus dem Prospekt. Auf den großen Fotos sehen Sie die Stoffprojekte, die Justyna Köke im Kopf hat zum Thema und die sich auch hier auf dem Boden wiederfinden: Golfspielen auf dem eigenen Körper, ein Schwimmbad mit roter Luftmatratze und Gummispielzeug, alles zum Anziehen. Sprich man kann den Urlaub problemlos hier machen und hat alles dabei, was so interessiert: Palmen, Wasser, Golf, die angesagteste Sportart überhaupt. Das ist natürlich völlig absurd, Kleidung als Bodeninstallation, sehen Sie etwa die geringelten Strumpfhosen, die ganz klar den Regenbogen bildet, der alles erst perfekt macht. Gleichzeitig ist es sehr ironisch aufgeladen und voller hintergründiger Boshaftigkeiten, aber auch ein bisschen traurig, wenn man sich überlegt, dass die Frau, um die es geht, ja wohl nicht real in Urlaub fahren kann und sich nun notdürftig anderweitig behilft. Die auf der Stoffassemblage nicht anwesenden Menschen halten sich als z. T. witzige Keramikfiguren hier hinten rechts auf, sehr nett kombiniert mit den sichtbaren Teilen der Fußboden-heizung....
Während bei ihren vorherigen Arbeiten das Figurative ganz zurückgestellt war, nur Assoziationen angerissen wurden, die zum Teil ambivalent waren, zwischen Erkennbarkeit und absoluter Rätselhaftigkeit hin und her pendelten, zudem hauptsächlich in der Farbe Rot, haben wir es jetzt hier mit ganz leicht erkennbaren Bildern, ja fast Ikons zu tun, die Justyna Köke aus verschiedenfarbigen Stoffen genäht hat. Aber was sind das für Palmen, die leicht traurig am Körper herunterhängen? Geht das, dass man sich Kleider wie Urlaub anzieht, sprich die unüberwindbare Entfernung überbrückt? Noch am ehesten ist vorstellbar, dass - wie beim Anschauen von Urlaubsfotos - ein Teil der Gefühle zurückgeholt werden können, aber einen ganzen Urlaub neu für sich über Kleider und Stoffe zu erschaffen? Das sind vermutlich wunderbare Träume, die sich vielleicht in der nahen Zukunft erfüllen lassen. Als ein Zeichen der Zeit muss man diese Arbeiten auch sehen, denn sie sind Verlängerungen des Körpers, Ausweitungen seiner Grenzen, ein Thema, das in der Bildenden Kunst schon länger aktuell ist. So können Szenarien entstehen, in denen der Körper groteske Ausweitungen erfährt, verzerrt und aufgebläht wird wie die Gestalten Francis Bacons. Die Grenzen zwischen innen und außen können dabei sehr fließend werden, wie auch hier. Zwar handelt es sich um Kleidung, die sich wandelt, aber wenn „Indien“ (sprich die Umrisse) aus Sand und Palmen an der Hose zwischen den Beinen befestigt ist, ist das auch eine Veränderung des Körpers, denn er wird begrenzt, kann sich nicht mehr bewegen wie gewohnt, wird eingesperrt. Gleichzeitig ist gerade diese Arbeit sehr bemerkenswert, weil quasi das Zentrum weiblicher Macht zum Ort der Träume wird, das quasi den Urlaub ausscheidet, gebärt wie ein Kind. 

Düster sind sie, die neuen Bilder von Patricia Thoma, die ja schon seit zwei Jahren in Berlin lebt, Novemberbilder, durch den schwarzen Hintergrund, und Bilder von der Straße. Man muss bei den liegenden Figuren an Obdachlose denken, aber das war’s dann auch schon mit den Verweisen auf Bekanntes. Ansonsten sehen wir hockende Männer, die etwa ein Salamibrötchen kauen oder einfach Brötchen. Schon bekannt sind dem Thoma-Fan die Fisch-grätmuster der Mäntel, warme Mäntel, es ist ganz offensichtlich Winter, und die Muster beginnen, ihr Eigenleben zu führen. Auch der gemusterte Schal um den Hals des Herrn mit dem Salamibrötchen: hat er nicht durch die Musterung Verwandtschaft mit der Wurst? Oder ist es nicht so, dass er eine Art Python um den Hals gewickelt hat? Sehr irritierend. Schon bekannt sind uns die besondere Art von Patricia Thomas Gesichtern, mit weit auseinanderstehenden Augen und kleiner Iris, weshalb speziell diesen Herren der Schöpfung die Dusseligkeit ins Gesicht geschrieben scheint. Aber eben nur scheint, denn alles ist Schein, man hat bei ihren Gemälden und Zeichnungen immer auch das Gefühl, dass es um ganz anderes geht als das Abgebildete, um den Akt des Verschleierns einerseits und um Malerei generell. 
Krass ist natürlich das pissende Mädchen, als Sujet für Malerei völlig unüblich. Patricia Thoma hat es aber immer mit den Geschlechterdifferenzen, ohne Feministin zu sein arbeitet sie vollkommen selbstverständlich mit der Kraft von Frauen, auch deren ‚schlechten’ Eigen-schaften. Denken Sie an ihre Mädels mit dem Schießgewehr, äh den großen Pumpgun-Wasserpistolen. Jetzt bei ihrem pissenden Mädchen tritt nach dem Schock des bisher nicht Gesehenen die pure Malerei ins Auge: Wie sich das Rot auf dem Ärmel mit dem Rot der Lippen verbindet, bei gleichzeitiger Blässe der Haut, die geschlossenen Augen - wir alle wissen, dass Pinkeln an sich kein Genuss pur ist, aber die Erleichterung, wenn man nicht konnte und dann darf, das hat auch in diesem Gesicht Platz. 
Generell ist es so, dass Patricia Thoma flächig malt, keine große Tiefenerstreckung, keine Farbgewitter mit pastoser Farbe, sondern eher dünn mit Bleistift und dünner Ölfarbe, früher auf Transparentpapier, jetzt auf normalem Papier. Ganz bemerkenswert und zurecht alleine hängt das Gemälde mit den beiden Obdachlosen: Der eine legt den Arm um den anderen, dessen Gesicht verdeckt ist durch die Kappe mit Ohrenschützern, ganz enorm der Farbklang aus Violettrot, Braun, Olivgrün, wie sich in allen Flächen Farbspuren der anderen Partien finden, großartig. Das ist Malerei pur! Mal ganz abgesehen von dem Ornament der Hände, das auf vielen Bildern und auch Zeichnungen von Patricia Thoma eine Rolle spielt: rätselhaft, aber ganz klar ein Ornament. 
Schauen wir uns noch die Zeichnungen an: Ganz toll ihre stehende Figur: kein Kopf, kein Verweis, nichts das uns durch Ausdruck ablenkt, sondern nur eine in eine Decke gehüllte Figur - schauen Sie sich das Muster der Decke an –, Jeans darunter, aber es scheint wieder auf der Straße zu sein und in Nachbarschaft der liegenden Figur denkt man natürlich an Obdachlosigkeit. Aber das ist das Besondere an Patricia Thomas Arbeiten: Außer den ‚Einhörnern’ hatten sie alle mit dem Hier und Jetzt der Bundesrepublik zu tun, die ‚Burger-Queens’, die ‚Frischfleisch’ Serie, aber nie vordergründig politisch, sondern immer verrätselt, immer auch ironisch, zudem auch immer die Geschlechterdifferenzen ansprechend. 
Noch einmal zu den Zeichnungen: Eine Frau wird am Arm gepackt, einer anderen wird in Brusthöhe ins Kleid gefasst, wieder eine ist fast ganz nackt und zwei andere Hände erzählen vor ihrer Brust, alles sehr enigmatisch. Wie immer spielen auch die Musterung der Kleidung mit, manchmal fast wichtiger wie bei der Frau, die am Arm festgehalten wird. Ich habe gerade den neuen Film ‚Caché’ von Michael Haneke gesehen, der hauptsächlich nicht erklärliche Bedrohung thematisiert, aber dabei nur einmal schockartig konkret wird, ansonsten einfach die latente tägliche Bedrohung als Sujet hat. Dieses Gefühl vermitteln auch diese Zeichnungen von Patricia Thoma, und es ist wie es ist: in erster Linie einfach sehr gute Malerei und Zeichnung. 
Wie Sie gesehen haben, ist den beiden Künstlerinnen auch viel gemeinsam: beiden ist das Thema ihres Geschlechts, dass sie Frauen sind, immer irgendwie präsent, nie explizit, nie platt feministisch, aber immer als Bedrohung/Bedrohtheit einerseits und Kraft, aber auch Wut andererseits.
Keine Rede ohne Zitat, dies hier ist von Maurice Denis (1870-1943), dem Kopf der Nabis, Synthetisten, auch Kunsttheoretiker:
„Kunst ist nicht mehr ein rein visuelles Erlebnis, das wir einfach aufnehmen, und keine Fotografie der Natur, auch keine raffinierte. Nein, Kunst ist ein Werk unseres Geistes, für das die Natur lediglich den Anlass liefert. Anstatt im Bereich des Auges zu arbeiten, richteten wir unsere Forschungen auf das geheimnisvolle Zentrum des Denkens, wie Gauguin sagt. Auf diese Weise wird – dem Wunsch Baudelaires entsprechend – die Phantasie wieder zur Königin aller Kräfte, und wir befreien unsere Sensibilität.“
© Dr. Susanne Kaeppele 2006