Kleine Träume vom Fliegen  

Vitali Safronov in der Galerie Offermanns

von unserer Mitarbeiterin Christel Heybrock

Der Mann ist ein Naturtalent ganz wie in alten Zeiten. Die Kunst der Figuren in drei Dimensionen scheint ihm nur so zuzufallen, er knetet ein bisschen Ton zwischen den Fingern, und schon wird ein kauernder Akt daraus, ein Pferd oder ein schmales, zartes Feengeschöpf. Und wie Bildhauer so sind, fühlen sie sich auch vom Zeichenpapier unwiderstehlich angezogen: Vitali Safronov, 1966 in Omsk geboren und an der Stuttgarter Akademie mit den letzten künstlerischen Weihen versehen, zeichnet mit geradezu akademischer Könnerschaft den Menschen mit seinem Muskelspiel, seinen Drehungen, ausbalancierten Posen und entspannten Ruhepausen. Dass Safronov dazu grau getöntes Papier benutzt, damit er den Kohlekonturen auch noch schöne Weißhöhungen mit Kreide aufsetzen kann, steigert natürlich die Plastizität. In der Mannheimer Galerie Offermanns, spezialisiert auf russische Gegenwartskunst, sind Safronovs Zeichnungen und Bronzefiguren (in Auflagen von nur je zwei Exemplaren!) zu sehen, und wer die auf langbeinigen Sockelstelzen schwebenden Winzlinge zunächst wenig attraktiv findet, sollte sie sich genau ansehen. Safronov ist nicht einfach ein konventioneller Meister der Figuren, sondern legt auch einen sehr persönlichen Witz und leise surreale Andeutungen in seine Fingerfertigkeit. Da sitzt beispielsweise ein wenige Zentimeter hohes "Ehepaar" auf einem kuscheligen Möbel dicht beisammen, und, wie hübsch, es sind ihm Flügel an den Schultern gewachsen . . . aber jeder hat nur einen einzigen Flügel, erst zusammen kann es in die Lüfte gehen, so sollte sie sein, die ideale Ehe! Was passiert, wenn ein Bildhauer zu träumen beginnt? Klar, er träumt vom Fliegen, und so taucht dieses ganz und gar nicht bodenständige Thema bei Safronov immer wieder auf, als spannungsreicher Gegensatz zu dem, was eigentlich bildhauerisches Metier ist: nämlich die komplexen Gewichtsverlagerungen, das Lasten und Ruhen des menschlichen Körpers in all seiner Schwere. 
Safronov möchte ihm das nehmen und ihn leicht machen, den Körper. Zwei Figuren lässt er zu stromlinienförmig "Fliegenden" werden, aber andererseits hält er einen ehrgeizigen Beinahesportler in furchtbarem "Pech" fest. Der gute Mann, mit einem enormen Hochsprungstab bewaffnet, hat zum Höhenflug angesetzt, aber ach, seines Leibes voluminöse Mitte zieht ihn nach unten, die Beine hängen zwar schon in der Luft und die Stange biegt sich unter ihrer Last, aber es wirkt eher wie ein Sack voll Blei, der da zum Flug ansetzt. Von einem Bildhauer, der die ganze Spannweite polarer Gegensätze in den Fingern, aber die leisen, geistreichen Nuancen im Kopf hat, kann man wohl noch einiges erwarten.

© Mannheimer Morgen   –   30.08.2003